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Kundenbrief Nº 17

«Was ist aus Amerika geworden»

Tom Afheldt / N⁰ 17 / Mai 2025

«Was ist aus Amerika geworden»

Geht es Ihnen auch so? Man liest die neuesten Meldungen aus Washington und fragt sich: Kann das wirklich wahr sein? Man kommt aus dem Staunen und Kopfschütteln nicht heraus. Kaum hat man sich an die letzte Absurdität gewöhnt, folgt schon die nächste: neue Dekrete, Schuldzuweisungen, weltpolitische Überraschungen. Was man früher für eine Parodie gehalten hätte, ist heute Regierungspolitik.

Die Vereinigten Staaten von Amerika, einst verlässlicher Anker der westlichen Wertegemeinschaft, Rechtsstaat, Bündnispartner, Verteidiger von Freiheit und Demokratie, geben seit dem Amtsantritt von Donald Trump ein zunehmend verstörendes Bild ab. Innerhalb weniger Wochen wurde Vertrauen zerschlagen, das über Jahrzehnte gewachsen war – nicht durch einen Ausrutscher, sondern bewusst und mit System. Selbst enge Verbündete werden vor laufenden Kameras öffentlich vorgeführt. Man könnte meinen, es ginge um Einschaltquoten – nicht um Weltpolitik. Was ist geblieben von der regelbasierten Ordnung, den gemeinsamen Interessen des Westens, den multilateralen Institutionen, auf die man sich verlassen konnte? Heute erleben wir eine politische Bühne, auf der nur noch das Recht des Stärkeren zu gelten scheint. Institutionen wie Justiz und Medien werden attackiert, der Ton gegenüber politischen Gegnern ist unterirdisch – und selbst langjährige Partnerländer müssen sich beschimpfen lassen, mit einem Vokabular, das eher an pubertierende Jugendliche erinnert als an internationale Diplomatie. In einer Kolumne des Handelsblatts wurde kürzlich die provokante Frage gestellt: «Wird Amerika zum Bösewicht?» So weit würde ich (noch) nicht gehen, aber fest steht: Sympathie und Vertrauen hat die US-Regierung international weitgehend eingebüsst. Der Schaden ist immens. Glauben kann man dem Präsidenten kein Wort mehr, und bei jeder Entscheidung stellt sich unweigerlich die Frage, ob er sie nicht schon morgen wieder revidiert.
Ich bin überzeugt, dass Trump mit seiner Politik den USA selbst den grössten Schaden zufügt. Der Handelskrieg, lanciert am sogenannten «Liberation Day», zeigt exemplarisch, wie ökonomisch sinnfrei und zugleich folgenreich Trumps Entscheidungen sein können. Die Einführung globaler Zölle, basierend auf Bauchgefühl statt Berechnung, ist ein gefährlicher Angriff auf die Idee des freien Handels. Dass genau dieser freie Handel einer der Haupttreiber des weltweiten Wohlstands in den letzten Jahrzehnten war – egal.
Ich frage mich: Hat das alles Methode oder ist es Willkür? Die Frequenz an «Presidential Orders», Ankündigungen und Richtungswechseln ist so hoch, dass Medien, Opposition und Gesellschaft kaum hinterherkommen. Aber es bleibt erstaunlich still in den USA. Vielleicht, weil man sich nicht mehr traut, etwas zu sagen. Vielleicht, weil man gar nicht weiss, wo man anfangen soll.
Trotz allem ungläubigem Kopfschütteln über Trumps erratische und schädliche Politik bleibe ich langfristig optimistisch. Selbst er kann ökonomische Grundregeln und Sachzwänge nicht einfach ausser Kraft setzen – auch wenn er sie nicht versteht. Und es wäre ebenso erstaunlich wie erschreckend, wenn in diesem eigentlich so grossartigen Land mit so vielen klugen Köpfen alle auf Dauer tatenlos zuschauen würden, wie ein Mann mit roter Baseballkappe Wirtschaftskraft, Einfluss und Ansehen der USA systematisch demontiert.